New Work, New Learning und Agilität: Oftmals hat man das Gefühl, dass es sich bei diesem Dreiklang nur um leere Worthülsen handelt. Für unseren Wissenshub für HR und OE begeben wir uns daher immer wieder auf die Suche nach Beispielen, die diese Worte mit Inhalt füllen, damit sich daraus Schlüsse für die eigene Unternehmenspraxis ziehen lassen. Dieses Mal haben wir uns im Bankensektor umgesehen und mit Simone Wunderlin von der Zürcher Kantonalbank gesprochen.
Als HR-Business-Partnerin, Teamleiterin und Vizedirektorin verantwortet sie viele Bereiche rund um das Thema Personal- und Organisationsentwicklung. Von ihr erfuhren wir,
wie New Work und New Learning in der Zürcher Kantonalbank gelebt werden,
warum das Konzept der Agilität für „High reliability organizations", also für Unternehmen, die für hohe Zuverlässigkeit und komplexe Sicherheitsrisiken stehen, nicht so neu ist, wie man meinen möchte, und
warum das „traditionelle“ Mitarbeitergespräch in Form von Jahresgesprächen in der Zürcher Kantonalbank schon vor Jahren abgeschafft wurde und stattdessen „KuSis“ zum Einsatz kommen.
in-manas im Gespräch mit Simone Wunderlin | Zürcher Kantonalbank
in-manas: Simone, herzlichen Dank für deine Bereitschaft zum Gespräch. Du bist nun seit fast einem Jahrzehnt bei der Zürcher Kantonalbank und hast dich in den Jahren davor auch schon in anderen Unternehmen mit Themen wie Erwachsenenbildung, Personal- und Organisationsentwicklung sowie Unternehmenstransformation beschäftigt. Was hat sich aus deiner Sicht in den vergangenen Jahren verändert? Sind New Work und New Learning auch im Bankensektor angekommen? Und was genau verstehst du darunter, zumal beide Begriffe sehr „dehnbar“ sind?
… eine stärkere Fokussierung auf die individuelle Entwicklung und die Ziele der Mitarbeitenden [...] bedeutet auch einen Wandel im Führungsverständnis.
Simone: New Work und New Learning haben in den letzten Jahren auch im Bankensektor Einzug gehalten. Und angekurbelt durch die Coronapandemie haben sich auch bei uns einige Bestrebungen in diese Richtung verstärkt. Es zeigte sich aber auch zusehends, dass es nicht das „eine“ richtige Konzept gibt. Unterschiedliche Unternehmen und Personen interpretieren New Work oder New Learning – eingebettet in ihren jeweiligen Branchen- und Unternehmenskontext – anders. Und das ist auch gut so. Wir verstehen darunter Exploration, stetiges Lernen und Kollaboration. Damit einher geht eine stärkere Fokussierung auf die individuelle Entwicklung der Mitarbeitenden und deren Ziele, die aber gleichzeitig im Einklang mit den strategischen Entwicklungszielen des Unternehmens stehen sollen. Und das bedeutet auch einen Wandel im Führungsverständnis.
in-manas: Welche konkreten Veränderungen konntest du im Vergleich zu den letzten Jahren feststellen?
Simone: Früher verstand man unter Personal- und Organisationsentwicklung oftmals Schulungen und Trainings, die man aus der „HR-Küche“ heraus entwickelt hat. Heute versuchen wir viel näher am Business zu wirken, indem wir eine Art „Lern- oder Transformationsarchitektur“ schaffen. Dabei geht es nicht um das Befolgen eines starren Konzepts, sondern vielmehr um das Schaffen entsprechender Rahmenbedingungen, die sich bestmöglich in den Alltag integrieren lassen. Lernen wird dabei insgesamt weiter gefasst: ein Organisationslernen auf allen Ebenen, das eine nachhaltige Entwicklung des Unternehmens unterstützt.
in-manas: „Agilität“ ist ein weiteres Buzzwort, das in vielen Unternehmen im Zusammenhang mit weniger Hierarchiestufen herumgeistert. Allerdings fehlt auch hier oftmals eine konkrete Vorstellung, was darunter tatsächlich zu verstehen ist.
Simone: Ja, gefühlt reden alle von agilen Organisationsformen, die mit mehr Verantwortung für die Mitarbeitenden einhergehen. „Ownership“ und die damit verbundenen Entscheidungsbefugnisse sollen dazu beitragen, dass sich die Menschen stärker mit ihrer Arbeit und ihrem Unternehmen identifizieren, was letztlich zu mehr Motivation und Engagement führen soll.
in-manas: Aber?
Simone: Der Irrglaube, Verantwortung abzugeben sei bereits „moderne Führung“, ist fatal. Ein weiterer Irrglaube, mit dem ich in der Vergangenheit oft in Berührung gekommen bin, ist die Meinung, agiles Arbeiten brauche keine Regeln und schon gar keine Chefs. Das Gegenteil ist der Fall! Selbstverantwortung braucht Führung, nur anders! In agilen Transformationsprozessen muss darauf geachtet werden, dass die Mitarbeitenden nicht „lost in space“ sind. Dazu benötigt es unterschiedliche Formen der Führung und Zusammenarbeit, die auch nebeneinander existieren können. Bei uns leben wir Agilität in unterschiedlichen Facetten. Es gibt nicht den einen agilen Ansatz oder die vermeintlich richtigen Tools, sondern es geht vielmehr um die Haltung, mit der wir uns im Alltag begegnen. Diese Parallelität funktioniert auf dem Fundament einer starken Kultur und einem hohen Commitment der Mitarbeitenden. Das Motto „one size fits all“ funktioniert also definitiv nicht.
Ein [...] Irrglaube, mit dem ich in der Vergangenheit oft in Berührung gekommen bin, ist die Meinung, agiles Arbeiten brauche keine Regeln und schon gar keine Chefs.
Simone: Apropos „agil“: Schon in meiner Zeit bei der Flugsicherung STC (skyguide training center) vor über zehn Jahren haben wir mit dem Modell von Weick & Sutcliff zu „High reliability organizations (HRO)“ in eine Lernkultur investiert, die sich an agilen Ansätzen orientiert. Agilität ist also nicht so neu, wie man meinen könnte.
in-manas: Bei diesem Modell geht es um die Frage, was Organisationen, die in sehr komplexen und risikobehafteten Umfeldern tätig sind, benötigen, um krisenfest zu sein. Und welche Aufgaben diese Unternehmen auf allen Ebenen erfüllen müssen, damit die benötigten Kompetenzen zur Risikominimierung bzw. zur Krisenbewältigung entwickelt werden können.
Simone: Genau. Dazu zählen Dinge wie eine hohe Aufmerksamkeit für Details und eine gründliche Vorbereitung auf alle möglichen Eventualitäten. Aber auch eine Kultur, die offen für Veränderungen ist und in der Fehler transparent kommuniziert und analysiert werden, ist essenziell für HROs. Und: Das Führungsteam muss
ein klares Verständnis von Zielen und Strategien haben und
wissen, wo die Stärken und Schwächen der Mitarbeitenden liegen bzw. welche Unterstützung sie für ihre Weiterentwicklung benötigen.
in-manas: Habt ihr hier ein spezielles Tool für eure Führungskräfte? Zum Beispiel in Form von Mitarbeitergesprächen?
Simone: Wir haben bereits vor sieben Jahren das „traditionelle“ Mitarbeitergespräch in Form von Jahresgesprächen abgeschafft und setzen stattdessen auf regelmäßiges Feedback und einen offenen, wechselseitigen Austausch.
in-manas: Was war der Grund dafür?
Simone: Wir haben einfach gesehen, dass ein 1 x im Jahr stattfindendes Gespräch der heutigen, sich schnell bewegenden Welt nicht mehr gerecht wird. Stattdessen sehen wir Stärken- und Zukunftsorientierung als zentrale Elemente der persönlichen Entwicklung. Ownership für die eigene Entwicklung und lebenslanges Lernen helfen dabei. Dafür stehen unseren Mitarbeitenden eine Reihe von Tools zur Verfügung, die sie je nach Situation und persönlicher Zielsetzung einsetzen können. Dazu gehören z. B. Lern- und Reflexionshilfen, ein digitales Feedbacktool oder eine Entwicklungsmappe mit Impulsen für die eigene Entwicklungsplanung. Die Führungskräfte führen den Dialog primär über sogenannte „Kurzsitzungen“. Diese ähneln einem Mini-Standortgespräch, sind zukunftsorientiert, individuell gestaltet und finden auf Augenhöhe statt.
in-manas: Wie können wir uns diese Kurzsitzungen vorstellen?
Simone: In einer Kurzsitzung oder „KuSi“, wie wir sie auch nennen, nimmt die Führungsperson eine coachende Haltung ein. Oftmals orientiert sich der Dialog an einem kurzen Rückblick auf die vergangenen 1-2 Wochen. Typische Fragen können sein:
Was ist dir gut gelungen, was weniger?
Welche deiner Stärken konntest du für das Gelingen einsetzen?
Welche Learnings ziehst du daraus?
Gegenseitiges Lob und Kritik haben ebenso ihren Platz wie die gemeinsame Reflexion. Gegen Ende folgt ein Ausblick auf die nächsten Wochen mit gemeinsam vereinbarten Zielen, wobei sich die Ziele nicht primär an Zahlen orientieren, sondern an der persönlichen Wirkung im Arbeitsalltag, im Team oder in Projekten. Der Dialog kann auch durch Reflexionskarten unterstützt werden.
in-manas: Also keine Zielvereinbarungen? Und keine „Noten“ oder Punkte für vergangene Leistungen, gebunden an Boni oder Prämien?
Simone: Ich würde sagen, es ist eine Mischung: Wir sind mit der Abschaffung des Management by Objectives nicht ziellos geworden. Wir haben nach wie vor Unternehmensziele und es gibt Bereichsambitionen, die jährlich überprüft werden. Jedes Team definiert daraus abgeleitet Teamziele. Noten oder Punkte für individuelle Leistungen gibt es nicht mehr. Außerdem sind wir von einem rückwärtsblickenden Jahresgespräch weggekommen und setzen auf Zukunfts- und Stärkenorientierung.
Und damit kommen wir zum Anfang zurück: Ein solcher Performance-Management-Ansatz bedeutet automatisch ein Umdenken in der Führung. Die Mitarbeitenden übernehmen mehr Verantwortung für ihre Entwicklung. Und der regelmäßige Dialog erlaubt es, adaptiv und evolutiv an (Entwicklungs-)Zielen zu arbeiten.
in-manas: Danke, liebe Simone, für die spannenden Einblicke. Alles Gute für euch und eure HR- und OE-Arbeit. Und vielleicht können wir uns bei Gelegenheit wieder austauschen, welche neuen Wege der Transformation ihr inzwischen gegangen seid. Wir würden uns sehr freuen!
HINWEISE UND VERTIEFUNGTIPPS
Wer mehr über Simone Wunderlin erfahren möchte: Hier geht es zu ihrem LinkedIn Profil.
Hier geht es zur Job & Karriere-Seite der Zürcher Kantonalbank.
Und für alle, die Lust auf mehr Themen rund um Personal- und Organisationsentwicklung haben: Im Wissenshub für HR und OE in unserem INNO-VERSE gibt es „unendlich viel“ Diskussions- & Innovationsraum für aktuelle Themen und Herausforderungen wie diese, samt Tausenden Innovationsbeispielen, zahlreichen Interviews und Tools sowie Special Contents als Inspirationsquelle, um darauf aufbauend an Lösungen zu arbeiten.
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