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Innovation durch Rekombination

Aktualisiert: 27. Feb. 2023


Franz Bailom im Gespräch mit dem Neurobiologen Prof. Dr. Martin Korte



Wie man Bestehendes gezielt nutzen und kreative Lösungen entwickeln kann. Und warum KI in der Innovationsarbeit überschätzt wird.


Insbesondere im Unternehmenskontext wird in der Innovationsarbeit oftmals nur an disruptive, also bahnbrechende Innovationen gedacht. Dabei muss die Welt nicht immer gänzlich neu erfunden werden, wenn es gilt, Innovationen hervorzubringen. Im Gegenteil: Bereits Joseph Schumpeter, renommierter Nationalökonom des vergangenen Jahrhunderts, verwies darauf, dass 80 Prozent aller Innovationen Rekombinationen von Bestehendem sind. Grund genug, sich wieder einmal ausführlich mit diesem Thema zu beschäftigen – dieses Mal aus Sicht der Hirnforschung.


Ich hatte Gelegenheit, mich mit Prof. Dr. Martin Korte – Neurobiologe und Lernforscher an der TU Braunschweig – zu unterhalten. Sie erfahren in diesem INNO TALK,

  • wie sich Bestehendes neu verknüpfen lässt, sodass man zu Innovationen kommt,

  • was hirntechnisch passiert, wenn auf Basis von vorhandenem Wissen neue Assoziationen entstehen, und

  • wo künstliche Intelligenz in der Innovationsarbeit behilflich sein kann und wo sie hingegen an ihre Grenzen stößt.


Entwicklung muss nicht immer revolutionär verlaufen. Das zeigt uns die Geschichte der Menschheit nur zu gut.

Franz Bailom: Freut mich, Martin, dass du dir wieder einmal Zeit für ein Gespräch nimmst! Vielleicht starten wir gleich mit dem Dilemma, in dem Unternehmen sich momentan befinden: Die Märkte verändern sich laufend, der Wettbewerb nimmt beständig zu, und Unternehmen geraten verstärkt unter Druck, nicht zuletzt aufgrund der geopolitisch angespannten Lage der letzten Monate. Dabei entsteht eine Dynamik, in der Unternehmen Gefahr laufen, Innovationen lediglich hinterherzujagen. Welchen Zusammenhang siehst du zwischen Stress und Innovationsleistung?


Martin Korte: Stress muss nicht immer schlecht sein. Stressige Momente können, sofern sie nicht in Angst und chronischen Stress münden, auch beflügeln und das Energieniveau heben. Das ist auch genau der Zweck von Stressreaktionen. Nur wenn wir Stress subjektiv als Angst machend empfinden und glauben, nicht mehr autonom handeln zu können, ist Stress eine schlechte Voraussetzung, wenn es gilt, kreativ und innovativ zu sein. Das gilt für einzelne Menschen wie für gesamte Organisationen. Bei Stress, der zu viel Druck und Angst erzeugt, werden Neurotransmitter freigesetzt, die eine gute Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den beiden Gehirnhälften sowie den unterschiedlichen Gehirnarealen verhindern. Jede Form der assoziativen Kreativität wird im Keim erstickt.


Dasselbe gilt für Organisationen: Die Abteilungen finden kaum noch Zeit, sich auszutauschen und abzustimmen. Die Kommunikation bleibt häufig auf der Strecke, und wesentliche Fragen, die zur Lösung von Problemen beitragen könnten, werden erst gar nicht gestellt. Diese Fragen im Vorhinein zu strukturieren, könnte viel unnötigen Stress ersparen. Im Bereich der Innovationsarbeit sollten das meiner Meinung nach folgende Fragen sein, sodass die Bedürfnisse und Probleme der Zielgruppe adressiert werden:

  1. Welche Produkte und Konzepte bieten meine Wettbewerber in diesem Bereich bereits an?

  2. Welche neuen Technologien gibt es, die unsere Probleme lösen könnten?

  3. Welche Innovationen nutzen Player aus anderen Branchen, um ähnliche Probleme zu lösen?

Oft lässt sich vorhandenes Wissen auf die eigene Problemstellung anwenden oder bringt neue Impulse, um das Bestehende zu erweitern oder zu verbessern, etwa in Form von adaptierten Produkten oder Prozessen. Entwicklung muss nicht immer revolutionär verlaufen. Das zeigt uns die Geschichte der Menschheit nur zu gut. Evolution, also eine allmähliche Veränderung von bereits bestehenden Merkmalen, hat sich über Jahrmillionen durchaus bewährt. Natürlich spielen in der Biologie auch spontan auftretende, dauerhafte Mutationen des Erbgutes eine wichtige Rolle. Doch die Bedeutung von evolutionären, inkrementellen Prozessen darf nicht unterschätzt werden.


Franz Bailom: Für die Beantwortung deiner drei erwähnten Fragen gibt es mittlerweile Tools wie Innovationskompasse, also digitale Assistenzsysteme, die sich auf die verschiedenen Themengebiete und Problemstellungen der einzelnen Unternehmen einstellen lassen. Eine gezielte Recherche sollte ja fester Bestandteil eines jeden Ideenfindungsprozesses sein. Und mit solchen Tools kann man „auf Knopfdruck“ sehen, welche Produkte, Technologien und Lösungen es bereits gibt. Wichtig ist unserer Erfahrung nach, dass man nicht nur nach bereits existierenden Innovationen und Technologien aus der eigenen Branche sucht, sondern auch aus komplementären Bereichen. Das ermöglicht neue Sichtweisen auf Problemstellungen, was zu völlig neuen Lösungsansätzen führen kann. Was passiert hier „hirntechnisch“? Wie verarbeitet unser Gehirn Inspirationen und vorhandenes Wissen? Und wie lässt es daraus schlussendlich Neues und Kreatives entstehen?


Martin Korte: Wenn wir von Kreativität oder von kreativen Ideen sprechen, meinen wir, dass wir originelle Ansätze und Lösungen für ein Problem finden. Es geht also darum, der Fantasie freien Lauf zu lassen und Bestehendes in einer völlig neuen Weise miteinander zu verknüpfen. Dafür ist es im ersten Schritt natürlich notwendig, sich gezielt damit auseinanderzusetzen, was bereits an Lösungsansätzen und Ideen vorhanden ist. So gesehen sind solche digitalen Tools wie Kompasse, die es möglichst allen Mitarbeitenden eines Unternehmens erlauben, sich zeit- und ortsunabhängig up to date zu halten, die Basis für eine gute, um nicht zu sagen: für eine „fantastische“ Innovationsarbeit. Denn je mehr Wissen man sich angeeignet hat, desto mehr „Futter“ steht dem Gehirn für assoziatives Denken zur Verfügung. Eine konzentrierte Auseinandersetzung mit solchen Themen, also das Lesen von Best-Practice-Ansätzen, Studien und Patenten, erfolgt in der Regel im Aufmerksamkeitsmodus des Gehirns, bei dem die sogenannten Gammawellen mit Geschwindigkeiten von bis zu 40 Hertz durch unser Gehirn jagen.


Allerdings: Wenn wir fokussiert und konzentriert sind, kommen wir kaum in den Zustand, den wir benötigen, um assoziativ zu denken. Das gelingt uns besser, wenn sich unser Gehirn im sogenannten Tagtraumnetzwerk befindet. Und das ist dann der Fall, wenn wir beispielsweise unter der Dusche stehen oder spazieren gehen. In diesem auch als Grundzustand bezeichneten Modus ist unser Stirnlappen deutlich weniger aktiv als im Aufmerksamkeitsmodus. Gerade einmal mit acht bis zwölf Hertz bewegen sich unsere Alphawellen. Sobald wir uns aber in diesem Zustand befinden, können in unserem Gehirn Informationen nach dem Zufallsprinzip miteinander vernetzt werden: Es entstehen Assoziationen, die im konzentrierten Zustand niemals entstehen würden. Und plötzlich ist sie da, die geniale, neu geknüpfte Idee.


Das heißt jetzt natürlich nicht, dass wir unsere Mitarbeitenden laufend spazieren gehen oder duschen schicken sollen. Aber als Unternehmen sollte man sich dessen bewusst sein, dass Innovationsarbeit auch einen entsprechenden Rahmen benötigt, damit die Leute in diesen Grundzustand des Gehirns kommen können.


Franz Bailom: Abschließend noch einige Fragen im Hinblick auf KI. Künstliche Intelligenz kann mittlerweile viel – doch kann sie auch schöpferisch tätig sein? Kann sie neben Routineaufgaben auch die menschliche Kreativität ersetzen? Wie kann KI bei der Innovationsarbeit behilflich sein?


Martin Korte: Meiner Meinung nach werden die Möglichkeiten von KI in bestimmten Bereichen überschätzt. Zu oft versucht man, künstliche Intelligenz mit unseren Gehirnen zu vergleichen, anstatt zu schauen, wo KI besonders gut ist und wo wir Menschen unsere Stärken haben. Man muss also auch darauf achten, wann Big Data zu Bad Data wird. Vor allem muss man sich klarmachen, dass KI-Algorithmen von Menschen vorgegebene Probleme lösen. Im Unterschied zu uns Menschen kommen sie nicht auf die Idee, Probleme zu lösen, die ihnen keiner gestellt hat. Besonders schwer fällt es KI-Systemen, innovativ mit Sprache umzugehen. Auch zu kontrafaktischem Denken, um etwa alternative Szenarien oder Zukunftsvisionen zu entwickeln, die gegen sämtliche Fakten sprechen, sind sie nicht in der Lage.


Das heißt nun aber nicht, dass KI-Systeme nicht dabei helfen können, die Wünsche und Ansprüche der Zielgruppe über eine entsprechende Musteranalyse der Kaufentscheidungen durchzuführen. Oder KI kann auch analysieren, ob durch eine Neukomposition einzelner Elemente eines Betriebsprozesses neue Wege gegangen werden können. Allerdings bleibt die Entscheidung darüber, ob die Analyseergebnisse nachhaltige Lösungen bieten und für die Zielgruppe attraktiv sind, dem menschlichen Gehirn vorbehalten. Artificial Intelligence und Human Intelligence können sich wunderbar ergänzen und müssen nicht zwangsläufig gegeneinander antreten, wie das beim Spiel Go der Fall ist. Vielmehr kann künstliche Intelligenz ein wunderbares Werkzeug sein, sofern der Einsatz genau definiert wird und ihre Grenzen für einen sinnvollen Gebrauch berücksichtigt werden.


Franz Bailom: Vielen Dank für das spannende Gespräch, Martin. Ich freue mich schon auf den nächsten INNO TALK. Vielleicht können wir hier dann auf dein neues Buch zu sprechen kommen.

 

ÜBRIGENS: in-manas bietet neben einem umfassenden Innovationskompass mit Tausenden von Innovationen weitere praktische Tools wie Trendradare und Pinnwände zur kollaborativen Ideenentwicklung an. Wo genau? Im INNO-VERSE. Dort können Sie in wenigen Schritten leistungsstarke Innovations- und Strategiehubs aufbauen. Wenn Sie mehr über unser Innovationsuniversum erfahren möchten:

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