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Weibliche Führungskräfte der Tech-Branche am Scheideweg

Aktualisiert: 15. Feb.


Frau, nachdenklich, im Hintergrund digital vernetzte Stadt

Eine Studie von McKinsey aus dem Jahr 2022 zeigt, dass erfahrene weibliche Führungskräfte in großer Zahl aus ihren Konzernjobs ausscheiden, entweder, weil sie entlassen werden oder weil sie freiwillig gehen. Die Gründe für Letzteres sind vielfältig: Sie reichen von mangelnder Anerkennung und Wertschätzung über fehlende Unterstützung bei der eigenen Karriereentwicklung bis zum Wunsch, in der zweiten Karrierehälfte etwas Sinnvolles zu tun. Wir wollten es genauer wissen und sprachen mit Katja Pischel, die sich selbst als „Tech-Urgestein“ bezeichnet und sich ebenfalls entschieden hat, „in der zweiten Karrierehälfte“ etwas anderes zu machen.


Katja Pischel ist Deutschlands führende Personal Branding Expertin für Führungskräfte in der IT-Branche. Seit über 25 Jahren ist sie in der Tech-Szene unterwegs. Angefangen hat sie in einem Start-up und ist schließlich in der Chefetage von Microsoft gelandet. Als erfolgreiche Top-Managerin hat Katja beobachtet, dass sich Frauen im Laufe ihrer Karriere die Fragen stellen: „Was kommt als Nächstes?“ und „Was mache ich eigentlich mit meiner kostbaren Zeit?“. Auch sie stellte sich diese Fragen. Und dann – im Jahr 2018 – verließ sie Microsoft auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, um BRIDGE-BUILDER FOR CHANGE zu gründen. Dort versteht sie sich als Brückenbauerin für den Wandel und unterstützt weibliche Führungskräfte auf ihren Weg zu erfolgreichen Unternehmerinnen.

in-manas im Gespräch mit Katja Pischel


Foto: Katja Pischel

in-manas: Katja, laut McKinsey-Studie sind in der Technologiebranche vor allem Mitarbeitende mit langjähriger Berufserfahrung von Entlassungswellen betroffen, darunter überdurchschnittlich viele Frauen. Viele weibliche Führungskräfte verlassen das Unternehmen auch freiwillig. Wie siehst du diese Entwicklungen?


Katja: All diese Entwicklungen finde ich sehr bedenklich, zumal wir seit Jahren mühsam versuchen, Talente zu entwickeln und Vielfalt in eine Branche zu bringen, die von Innovationen lebt. Wenn Unternehmen diese Frauen gehen lassen, geht viel Potenzial verloren!


in-manas: Was sind die Gründe für den freiwilligen Ausstieg? Katja: Die Gründe sind unterschiedlich und vielfältig: Die Frauen erfahren zu wenig Wertschätzung für ihre Arbeit, sie fühlen sich von ihren Vorgesetzten zu wenig unterstützt und gefördert, sie verdienen weniger als ihre männlichen Kollegen (am größten ist der Unterschied übrigens in den hoch bezahlten Positionen) oder sie vermissen den Sinn in ihrer Tätigkeit und möchten noch einmal andere Schwerpunkte in ihrem Leben setzen.

in-manas: Und warum sind Frauen überproportional von Entlassungen betroffen?


Katja: Viele Entlassungen betreffen Bereiche, in denen überdurchschnittlich viele Frauen beschäftigt sind, etwa im Marketing, im Personalwesen oder im Bereich Customer Experience. In der Technologiebranche ist es auch so, dass einige Konzerne während der Coronapandemie sehr viele neue Leute eingestellt haben, weil die Nachfrage nach Cloud-basierten Lösungen der großen Tech-Hersteller so stark gestiegen ist. Heute kennt beispielsweise jeder Microsoft-Teams oder Zoom. Aber mittlerweile gibt es weniger Personalbedarf. Auch die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz spielt eine Rolle. Derzeit fragen sich viele Mitarbeitende, ob der eigene Job in Zukunft von einer KI erledigt werden kann. Andererseits liegt in jeder Krise auch eine Chance, und viele nutzen sie, um sich neu zu orientieren, sich zum Beispiel zum Coach ausbilden zu lassen und dann nebenberuflich ein eigenes Business zu starten.


in-manas: Du hast das ja auch selbst erlebt und arbeitest nun mit genau diesen Frauen, die sich mit ihrem Know-how selbstständig machen wollen und eine sinnvolle Beschäftigung suchen. Was läuft falsch in den Unternehmen? Warum gelingt es ihnen nicht, „Brücken“ zu ihren weiblichen Führungskräften zu bauen? Welche Bedingungen müssen seitens HR und OE geschaffen werden, damit mehr Frauen bleiben und „Sinn“ in ihrem Tun finden?


Katja: Zum großen Teil ist das aus meiner Sicht eine ganz normale Entwicklung. Mit Mitte 40 habe ich andere Prioritäten als mit Ende 20. Ich habe vielleicht auch schon vieles in meiner Karriere erreicht und habe einfach wieder Lust auf etwas Neues. Viele Frauen sagen mir auch, dass sie auf Dauer keine Lust mehr auf dieses unglaubliche Tempo und den Druck haben, in einem Umfeld zu arbeiten, in dem ständig neue, frische, junge und hochmotivierte Talente nachkommen, von denen die Tech-Branche lebt. Und auch das finde ich normal: Auch wenn wir immer so tun, als wären wir unendlich belastbar, ist das natürlich eine Illusion. Ich bin mit Ende 20 anders leistungsfähig als mit Ende 40 oder Mitte 50 und habe auch andere Themen im Leben: die älter werdenden Eltern oder die erste eigene Krankheit zum Beispiel.


in-manas: Kommen wir noch zum Thema Remote Work. Nicht nur für Frauen mit Betreuungspflichten, sondern für immer mehr Menschen, ist es wichtig, zeit- und ortsunabhängig arbeiten zu können. Ist es für dich nachvollziehbar, dass Unternehmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder 9 to 5 im Büro haben wollen? Welche Chancen werden damit vertan – Stichwort Diversity?


Katja: Als Unternehmerin lebe ich New Work in meinem eigenen Unternehmen: Meine Assistentin sitzt in Portugal, die Frau, die mich mit Social Media unterstützt, lebt in Schottland und ich selbst habe ein komplett digitales Geschäftsmodell und arbeite von überall aus, mit Schwerpunkten in Deutschland, in den USA und in Italien. Wenn Unternehmen heute die Möglichkeit haben, Remote Work anzubieten, müssen sie es tun. Das ist für Talente, unabhängig vom Alter, nicht mehr verhandelbar. Und für viele der Frauen, mit denen ich zusammenarbeite, ist die Aussicht auf mehr Selbstbestimmung und Flexibilität ein ganz wichtiger Antrieb, ihr eigenes Business zu starten bzw. sich für den nächsten Angestelltenjob zu entscheiden.


in-manas: Machen wir noch einen Themenschwenk: Co-Creation ist in aller Munde – sei es unternehmensintern oder unternehmensübergreifend mit Externen. Trotzdem scheint es nicht wirklich in allen Bereichen und Branchen gelebte Realität zu sein. Wie ist das in der Tech-Branche?


Katja: In der Technologiebranche ist Co-Creation ganz normal. Ich kenne meine Kunden, höre ihnen zu und beziehe sie zum Beispiel in die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen ein. Das ist übrigens eine Fähigkeit, die ich als Unternehmerin immer wieder benötige. Innovation findet nicht im stillen Kämmerlein statt, sondern im Austausch mit den Menschen, für die ich ein Problem lösen will.


in-manas: Was hindert uns daran, innovativ zu sein und in Co-Creation zu investieren? Woran liegt das? Sind wir zu sehr im Konkurrenzdenken verhaftet? Und falls ja: Siehst du da Unterschiede zwischen Männern und Frauen? Oder ist das zu klischeehaft gedacht?


Katja: Ich sehe vier Gründe

  1. Selbstverliebtheit: Ich bin zu sehr in meine Produktidee oder Dienstleistung verliebt.

  2. Unterschwellige Angst vor Ablehnung: Was ist, wenn niemand haben will, was ich anbieten möchte?

  3. Mangelnde Bescheidenheit: Ich denke, ich weiß bereits genau, was meine Zielgruppe benötigt.

  4. Perfektionismus: Ich möchte nicht mit etwas nach außen gehen, das nicht „fertig“ ist und damit möglicherweise „unprofessionell“ wirkt.

Ob es Unterschiede gibt? Gute Frage. Was ich zumindest in meiner Arbeit mit über 300 Tech-Leadern und -Unternehmen beobachten konnte: Selbstverliebtheit und mangelnde Bescheidenheit sehe ich öfter bei Männern, während Angst vor Ablehnung und Perfektionismus öfter bei Frauen vorzukommen scheinen.


in-manas: Danke für das interessante Gespräch.

 

HINWEISE UND VERTIEFUNGTIPPS

  • Wer mehr über Katja Pischel erfahren möchte: Hier geht es zu ihrer Webpage.

  • Und für alle, die Lust auf mehr Themen rund um Personal- und Organisationsentwicklung haben: Im Wissenshub für HR und OE in unserem INNO-VERSE gibt es genügend Diskussions- & Innovationsraum für aktuelle Themen und Herausforderungen wie diese.

Bildlink zum Wissenshub für HR und OE


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