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ChatGPT, DALL-E, VALL-E und Co. treffen auf Philosophie

Aktualisiert: 27. März 2023


Roboter und alter Philosoph treffen sich: Oben Sternenhimmel, unten ein künstliches neuronales Netzwerk zu sehen.

Künstliche Intelligenz, die Texte auf höchstem sprachlichen Niveau schreiben, programmieren, Bilder malen oder Stimmen imitieren kann: Die Medien sind voll von Nachrichten über ChatGPT, DALL-E, VALL-E und andere intelligente Tools. Möglich werden solche Entwicklungen durch Künstliche Neuronale Netze (KNN). Sie können riesige Datenmengen in atemberaubender Geschwindigkeit analysieren, Muster erkennen und miteinander in Beziehung setzen – schneller und effizienter, als wir es je könnten.


Beim Lesen dieser News, die immer auch mit der Frage verbunden sind, ob wir Menschen bald überflüssig werden, mussten wir an ein Interview mit dem österreichischen Philosophen Konrad Paul Liessmann denken, das wir vor einiger Zeit im Zusammenhang mit den Entwicklungen rund um das Thema Robotik, Automatisierungsprozesse und Künstliche Intelligenz geführt haben. Seine zum Teil sehr provokanten Gedanken möchten wir euch hiermit präsentieren. Wir sind gespannt, wie ihr darüber denkt. Denn Prof. Liessmann zeigt auf, was wir Menschen von der Antike lernen können und zieht Vergleiche zum Sklaventum.

Foto: Konrad Paul Liessmann

Der Philosoph Konrad Paul Liessmann über modernes Sklaventum


Früher ließ man andere für sich arbeiten: Das waren die Sklaven und Lasttiere. Heute sind es entsprechende Technologien, Maschinen und Roboter. Eigentlich ist es deshalb erstaunlich, dass wir es zunehmend als bedrohlich empfinden, dass uns Maschinen Arbeit abnehmen. Deswegen haben wir sie doch erfunden! Und je intelligenter diese Maschinen sind, desto besser können sie uns auch komplexe, anstrengende, eintönige oder langweilige Arbeiten abnehmen. Tatsache ist aber: Sobald die „Entlastung“ in den Bereich der GEISTIGEN Arbeit fällt, taucht sofort die Frage auf: „Werden wir Menschen überflüssig? Werden wir von einer künstlichen Intelligenz abgelöst?“ Dabei muss man sich aber Folgendes vor Augen führen: Auch wenn die Entwicklung im Bereich der künstlichen Intelligenz sehr stark voranschreitet, ist der Mensch nach wie vor der letzte Adressat. Denn die Roboter, die in Zukunft iPhones zusammenbauen werden, machen das für UNS. Roboter brauchen keine Handys. Und jene intelligenten Pflegeroboter, die anstelle eines menschlichen Pflegers eingesetzt werden, pflegen MENSCHEN – und keine Roboter.


Solange wir also die letzten Adressaten von Automatisierungs-­ und Technisierungsprozessen sind, müssen wir uns in Wahrheit nur folgende Frage stellen:

  • Wenn all diese Arbeiten von intelligenten Systemen und Maschinen geleistet werden – was fängt der Mensch dann mit seiner „übrigen“ Zeit an?

  • Und welche gesellschaftlichen Konsequenzen haben diese Entwicklungen?

Selbst dann, wenn der Mensch der letzte Adressat und somit „Konsument“ bleibt, kommt zwangsläufig die Diskussion rund um das bedingungslose Grundeinkommen ins Spiel. Denn wenn jene Firmen, die künftig ihre Mobiltelefone von ROBOTERN herstellen lassen, einen Gewinn machen, muss dieser Gewinn auch anders verteilt werden: nämlich an diejenigen, die ihre Arbeit verloren haben und auch keine andere mehr finden werden, weil Automatisierung und Technisierung immer weiter um sich greifen werden. Eine dringliche Frage lautet daher: Warum sollte nur menschliche Arbeitskraft besteuert werden, maschinelle hingegen nicht? Ich bin der Meinung: Es führt kein Weg an der „Maschinensteuer“ vorbei. Die „Früchte“ von Produktivitätsfortschritten, die durch Technik erzeugt worden sind, müssten an alle verteilt werden. Andernfalls „verhungern“ wir und soziale Spannungen sind unausweichlich. Denn auch unter den „Experten“ herrscht keine einheitliche Meinung darüber, ob die Schaffung neuer Arbeitsplätze für jene arbeitslosen Menschen, die durch Technologien „ersetzt“ wurden, wiederum durch innovative Technologien erfolgen kann.


Arbeit ist etwas Menschenunwürdiges! Lassen wir sie doch von den Maschinen ausführen!

Das heißt also: Wenn intelligente Systeme zunehmend den Arzt, den Dolmetscher, den Lehrer, den Wissenschaftler, den Juristen, ja sogar den Programmierer ersetzen (weil sich Maschinen in der dritten oder vierten Generation bereits selbst programmieren und reproduzieren werden), muss man sich die Frage stellen: Was tun Menschen, die keine Arbeit mehr haben? Und hier könnte man jene Lebensmodelle einer antiken Vergangenheit näher betrachten, die zeigen, dass man auch ohne Arbeit wunderbar leben kann. Damals sagte man sich: „Die Arbeit machen die Sklaven!“ Wenn wir heute dieses Selbstbewusstsein hätten, das der freie Bürger einer antiken Polis an den Tag legte, würden wir uns sagen: Arbeit ist etwas Menschenunwürdiges! Lassen wir sie doch von den Maschinen oder digitale Assistenten ausführen! Stattdessen könnten wir das tun, was Maschinen NICHT tun können: mit anderen Menschen kommunizieren und uns mit ihnen auseinandersetzen. Ein Beispiel, das das Gesagte vielleicht untermauert:


Bekanntlich war es ja für viele Menschen eine große Tragödie, als im Jahre 1996 der erste Computer den Schachweltmeister geschlagen hat. Eine Maschine (!) spielte besser Schach als Garri Kasparow! Interessanterweise hat diese Tatsache keinen einzigen Schachspieler vom Schachspielen abgehalten. Mittlerweile WISSEN wir: Kein Schachspieler der Welt hat eine Chance gegen diese Art von Maschinen. Das hatte aber lediglich zur Folge, dass uns die Maschinen nicht mehr interessieren. Heutzutage könnte sich jeder eine Schach-App herunterladen, die einen täglich besiegt. Das tun wir aber nicht. Warum nicht? Wir wollen mit unseren Freunden oder Kindern Schach spielen, im Sportverein oder Schachclub. Wir spielen also nach wie vor Schach – aber mit MENSCHEN. Also kann man zwar intelligente Systeme entwickeln, die bestimmte Tätigkeiten besser können als wir Menschen. Aber: Solange es sich dabei um Tätigkeiten handelt, die zwischen Menschen durchgeführt werden und Freude (!) bereiten, werden wir diese Tätigkeiten auch ausführen …


Bestimmte Tätigkeiten werden schlicht und ergreifend deswegen wieder an Wert gewinnen, weil sie nicht ausgeführt werden müssen.

Ich halte es daher für einen Grunddenkfehler, zu glauben, nur weil ein System etwas besser kann, muss der Mensch die Freude daran verlieren. Ganz im Gegenteil! Auch Arbeit kann Spaß machen. Was heißt das nun aber ganz allgemein für die Arbeit? Das Interessante bei derartigen Entwicklungen ist, dass die Arbeit vom Fluch zu einer selbstbestimmten Tätigkeit wird, sobald man sie nicht mehr machen MUSS. In einer hoch technisierten Landwirtschaft – zum Beispiel – müsste niemand mehr selbst Obst oder Gemüse anbauen. Doch gerade das tun immer mehr Menschen. Und zwar nicht, weil sie Hunger leiden oder sich in einer Notsituation befinden. Sondern weil sie sich sagen: „Mir schmeckt Selbstangebautes besser und ich liebe Gartenarbeit. Und deswegen betreibe ich auf meinem kleinen Balkon ‚Urban Gardening‘!“ Dieses Konzept setzt aber voraus, dass diese Tätigkeit nicht mehr als Lohnarbeit klassifiziert wird.


Wir wissen, dass Maschinen sehr viele unserer Grundbedürfnisse befriedigen können. Aber es wird uns trotzdem Spaß machen, manches selbst zu tun. Das Handwerk wird also nicht aussterben. Denn: Bestimmte Dinge sind einfach anders, wenn sie vom Menschen gemacht werden. Und auf dieses „Andere“ legen Menschen wieder zunehmend Wert. Niemand ist verpflichtet, Urban Gardening zu betreiben. Denn jeder kann sich sein Obst im Supermarkt kaufen. Aber manche tun es TROTZDEM. Und dieses Beispiel ist nur eines von vielen. Bestimmte Tätigkeiten werden deswegen wieder an Wert gewinnen, weil sie nicht ausgeführt werden müssen (!).


Ich denke also, dass in einer Gesellschaft, in der unsere Bedürfnisse zunehmend durch automatisierte Arbeit von Maschinen befriedigt werden können, sich jene Tätigkeitsfelder, die die Menschen dann wahrnehmen möchten, einfach „neu ausdifferenzieren“ werden. Und wir könnten dann frei sein für Dinge, die uns als Menschen angemessen sind. Verantwortungslos wäre es aber, Menschen in einen Wettkampf mit den Maschinen zu schicken. [1]

 

Soweit die Gedanken von Prof. Liessmann, die wir ihm vor einiger Zeit entlocken konnten. Wer wissen möchte, was sich abseits von ChatGPT und Co. laufend tut, kann jederzeit einen Blick in unseren Innovationskompass werfen, der Tausende von Innovationen entlang aller Trends und Branchen enthält. Wer noch nicht angemeldet ist, kann das jetzt nachholen:


In diesem Sinne „findige Grüße“ aus dem INNO-VERSE Klaudia, Franz und das gesamte in-manas-Team

 

QUELLEN UND VERTIEFUNGSTIPPS


[1] Das Interview ist in seiner gesamten Länge der Zeitschrift IMP Perspectives, Ausgabe 6 zu entnehmen: Weber, K., Bailom, F. (2015). IMP Perspectives 6, Wachstum durch Differenzierung. Besser? Anders? Besser ganz anders? (S. 139-143)

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